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Das Publikum will verführt werden


1983, Brüssel: Dr. Barry Marshall aus Australien, hält auf dem internationalen Ärztekongress den Vortrag seines Lebens.

Es ist eine Sensation. Das weiss er. Er hat entdeckt, dass Magenentzündungen eine bakterielle Ursache haben und mit Antibiotika ganz leicht zu behandeln sind. Ein Segen für einen grossen Teil der Menschheit. Der Rest der Fachwelt war sich bisher einig: Die schmerzhaften Magenentzündungen sind fast nicht zu behandeln, denn ihre Ursachen liegen in der Psyche des Patienten verborgen. Weniger Stress, mehr Sport. Diese These hat Marshall jetzt als finsteren Aberglauben, als lächerlichen Fehler entlarvt. Er wartet mit einer sensationellen Neuigkeit auf. Den Nobelpreis gab es schon für unbedeutendere Entdeckungen. Der Saal ist brechend voll. Und: Das Publikum hört ihm schon nach wenigen Minuten nicht mehr zu, wendet sich von ihm ab.

Was war geschehen?

Der junge Arzt hatte sich mit dem Feuereifer eines Fanatikers ins Gefecht geworfen und dabei völlig sein Publikum vergessen. Er war sich sicher, dass er die Welt retten konnte und liess das auch alle wissen. Das brüskierte Publikum wandte sich von ihm ab und Dr. Barry Marshall galt fortan in Fachkreisen als Großschwätzer, und gewann als Mann „mit fehlender Bescheidenheit“ vergifteten Ruhm. Es sollte ganze 20 Jahre dauern bis seine Entdeckung anerkannt war und er für sie tatsächlich den Nobelpreis erhielt.

1976, Los Angeles: Dr. Myron L. Fox hält an der University of Southern California einen Vortrag über die Anwendung der mathematischen Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten. Im Auditorium sitzen Chefärzte der örtlichen Spitäler, allesamt international anerkannte Experten. Keiner hat jemals etwas von diesem Dr. Fox gehört. Aber das, was sie jetzt erleben, reißt sie regelrecht von ihren Sitzen. Sie sind sich einig: Dr. Fox sei ein exzellenter Psychiater, dessen Vortrag sie tief und nachhaltig zum Denken angeregt habe; sein Material sei perfekt strukturiert, seine Beispiele anschaulich und seine Aussagen gut verständlich. Besser kann kein Feedbackbogen aussehen.

Dr. Fox war in Wahrheit jedoch gar kein Psychiater. Er hatte sich nie mit Mathematik oder Spieltheorie beschäftigt. Er war auch kein Doktor, er war Schauspieler. Alles, was Fox getan hatte, war, mit Hilfe der Initiatoren dieses Experiments aus mehreren Fachartikeln über Spieltheorie einen Vortrag zu zimmern, der ausschließlich aus unklarem Gerede, erfundenen Wörtern und widersprüchlichen Feststellungen bestand, die er mit viel Humor und sinnlosen Verweisen auf andere Arbeiten vortrug.

Die federführenden Psychologen John Ware, Donald Naftulin und Frank Donnelly hatten im Anschluss das Experiment mehrfach wiederholt. Mit unterschiedlichen Themen, vor unterschiedlichem Publikum – und immer mit demselben Ergebnis: Wenn eine Rede attraktiv ist, „liebt“ das Publikum nicht nur den Redner, sondern auch den Inhalt seiner Rede.

Damit hatten die drei Psychologen ein wichtiges Phänomen der mündlichen Kommunikation aufgezeigt: Das kritische Denken ist im Zuhörer für die Zeitdauer der Rede gleichsam abgeschaltet. Es meldet sich erst wieder, wenn die Emotion des Augenblicks verflogen und die Aura des Redners nicht mehr anwesend ist.

Dies gilt natürlich in beide Richtungen. Was der unglückliche Dr. Marshall sieben Jahre später erfahren musste.

Ein sensationeller Inhalt alleine reicht also nicht aus, um die Botschaft unter die Menschen zu bringen. Mag die Erkenntnis noch so bestechend sein, darf die “Verpackung” niemals vergessen werden.

Lernsatz: Gute Rhetorik ist guter Inhalt und gute Form. Und wenn Sie wählen müssen zwischen Form oder Inhalt, wissen Sie, dass Sie mit einer angenehmen Form Ihr Publikum viel eher gewinnen können, als mit noch so richtigen und wichtigen Inhalten.

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