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Fake it till you make it - Warum dieser Spruch gefährlich ist


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Emotionale Ehrlichkeit entwickeln statt Fake it till you make it - Mann nimmt Maske ab
Emotionale Ehrlichkeit entwickeln statt toxische Positivität

Die Studioscheinwerfer blendeten. Ich saß im Sessel der Schweizer Talkshow, lächelte in die Kamera und redete über Erfolg, Zukunftspläne, Optimismus. Mein Vater war ein paar Tage zuvor gestorben. Niemand im Studio ahnte es.

Ich war überzeugt: Ich. bin Profi, ich ziehe das durch. Fake it till you make it, Baby! Ich bin ein verdammt guter Schauspieler.

Spoiler: War ich nicht.

Nach der Sendung die Reaktionen. "Was war denn mit dir los?" "Du wirktest so... komisch." "Total aufgesetzt."

Lektion gelernt: Menschen haben eingebaute Bullshit-Detektoren. Und die funktionieren besser als jede Flughafensicherheit.


Wenn Zwangs-Optimismus zur Pflicht wird

In manchen Kreisen reicht "gut" nicht mehr. Auf die Frage "Wie geht's?" muss es heißen: "Mir geht es ausgezeichnet!"

Nicht gut. Nicht okay. Ausgezeichnet. Immer. Jeden einzelnen Tag.

Ich war diesem Trugschluss selbst lange aufgesessen. Bis ich merkte: Das ist Zwangsbeglückung. Eine Lüge auf Dauerschleife. Das ist keine positive Energie.

Du darfst nicht müde sein – negativ! Du darfst nicht zweifeln – Schwäche! Du darfst nicht traurig sein – runterziehend!

Also spielst du mit. Tag für Tag. Bis irgendwann... BOOM.


Living the dream – Die absurdeste Szene meines Lebens

Vor einem Jahr, Bootsfahrt mit zwei Freunden in Irland. Wir legen in einem ziemlich runtergerockten Kaff an.

Im Pub sitzen zwei Typen am Tresen. Stille. Leere Blicke auf die Biergläser. Der Barkeeper löst Kreuzworträtsel.

Der Barkeeper, ohne aufzublicken: "How''s life?"

Der Typ, vollkommen stoisch, Blick weiter auf sein Bier gerichtet: "Living the dream."

Ich brach in schallendes Gelächter aus. Da saß er. In seinem schäbigen Pub. In einem gottverlassenen Kaff. Mit der Körpersprache eines geschlagenen Mannes. "Living the dream."

Das war "Fake it till you make it" in Perfektion. Und gleichzeitig die traurigste Comedy-Show, die ich je gesehen hatte.


Warum das System irgendwann implodiert

Es ist schlicht unmöglich, "negative" Gefühle dauerhaft wegzulächeln. Das System implodiert. Immer.

Ich sehe es gerade bei einigen Freunden und Klienten.

Menschen, die jahrelang "ausgezeichnet" gesagt haben, während sie sich leer fühlten. Die jahrelang gelächelt haben, während sie verzweifelten.

Und dann – oft ganz plötzlich: System-Crash.

Burnout. Depression. Panikattacken. Beziehungen implodieren. Körper streiken. Game over.

Warum? Weil verdrängte Gefühle sich nicht auf wundersame Weise einfach auflösen. Sie warten. Wie eine vergessene Kreditkartenrechnung. Und irgendwann kommen sie – mit Zinsen und Zinseszinsen. Sie lassen sich nicht aussitzen.

Der Psychiater David R. Hawkins hat erforscht: Echte Gefühle – selbst schwierige – haben eine höhere Schwingungsfrequenz als aufgesetzte Fröhlichkeit.

Warum? Weil Wahrheit immer kraftvoller ist als Lüge. Auch wenn Lüge besser aussieht auf Instagram.


Warum du mit Ratio niemals Emotionen erreichst

In meinen Anfängerjahren war ich Vertreter der ungeschminkten Wahrheit, beziehungsweise meiner ungeschminkten Wahrheit. Besonders auf Premierenfeiern habe ich mir damit wenig Freunde gemacht. Natürlich war das die Schuld der anderen, weil sie die "Wahrheit" einfach nicht aushielten. Das war natürlich Quatsch.

Simon Sinek erklärt das sehr einfach: "Meet emotion with emotion, rational with rational."

Sonst liegen da zwei Bereiche unseres Hirns im Clinch: Der Neocortex (Ratio, Sprache) und das limbische System (Gefühle, Vertrauen, Angst).

Das Problem? Die beiden sprechen nicht dieselbe Sprache.

Wenn jemand emotional aufgewühlt ist und du kommst mit rationalen Argumenten ("Sei doch vernünftig!"), prallst du ab. Die Person kann dich buchstäblich nicht verstehen.

Sinek erzählt: Eine Freundin spielte in einem furchtbaren Theaterstück. Nach der Show kam sie völlig euphorisch: "Wie fandest du es?"

Er fand die Show grauenvoll. Aber sie war auf einem emotionalen High.

Was macht er? Er sagt nicht die rationale Wahrheit ("Die Show war Mist"). Er antwortet emotional: "Ich bin so stolz auf dich! Es war unglaublich, dich auf der Bühne zu sehen!"

Keine Lüge. Aber emotionale Resonanz statt rationale Kritik.

Am nächsten Tag, als ihre Energie sich beruhigt hatte, konnte er ihr ehrliches, rationales Feedback geben.

Hier liegt auch das Problem mit "Fake it till you make it":

Du versuchst, mit einer rationalen Strategie ("Tu einfach so als ob") auf emotionale Zustände zu reagieren. Du sagst deinem limbischen Gehirn: "Sei still, der Verstand übernimmt jetzt."

Aber das limbische Gehirn interessiert sich null für deinen Verstand. Es schreit weiter. Und irgendwann bricht es durch – mit Macht.


Bypassing: Die elegantere Alternative

Eine Studie von Granados Samayoa & Albarracín zeigt: Wenn wir Menschen nicht sagen "Das ist falsch", sondern einfach etwas Wahres und Stärkeres anbieten, wirkt das nachhaltiger.

Das ist Sineks Prinzip in Aktion: Emotion trifft Emotion – aber ehrlich.

Feel it till you heal it statt "Fake it till you make it".

Beispiel:

  • Freundin: "Mir geht's ausgezeichnet!" (aber du spürst: Sie leidet)

  • Rationale Reaktion (funktioniert nicht): "Ich seh' doch, dass das nicht stimmt."

  • Bypassing (emotional auf emotional): "Weißt du, mir geht's gerade nicht gut. Darf ich dir erzählen, warum?"

Du kämpfst nicht gegen ihre Maske. Du bietest einfach etwas Echteres an. Deine Verletzlichkeit trifft ihre Aufgesetztheit – und schafft einen sicheren Raum. Auch für sie, so dass sie im Gegenzug sich zu öffnen traut.

Das funktioniert auch bei dir selbst: Erlaube dir emotional, präsent zu sein mit dem, was wirklich ist.


Emotionale Ehrlichkeit ist nicht emotionale Rücksichtslosigkeit

"Soll ich also jedem erzählen, wie schlecht es mir geht?" - Nein. Emotionale Ehrlichkeit ist nicht emotionale Rücksichtslosigkeit. Es gibt einen Unterschied:

Emotionale Ehrlichkeit: "Mir geht's heute nicht so gut, aber wir müssen auch nicht darüber reden. Ich bin froh, dass wir uns sehen."

Emotionaler Durchfall: "ALLES IST SCHRECKLICH! Mein Leben ist ein Desaster! Hör dir jetzt eine Stunde meine Probleme an!"

Emotionale Ehrlichkeit ist bewusst und respektvoll. Du teilst, was wahr ist – aber du wählst den richtigen Moment, die richtige Dosis, das richtige Gegenüber.

Du darfst echt sein, ohne andere zu überfahren.


Zwei Wege zu mehr emotionaler Ehrlichkeit

1. Die 3-Sekunden-Wahrheit: "Was fühle ich wirklich?"

Wenn jemand fragt "Wie geht's?", nimm dir drei Sekunden. - Atme. - Spüre in dich hinein.

  • Nicht: "Ausgezeichnet!" (Autopilot)

  • Sondern: "Ehrlich? Ich bin gerade ziemlich durch den Wind." (Wahrheit)

Du musst nicht alles erzählen. Du musst dich nicht auskotzen. Du musst dein Gegenüber nicht mit Negativität überrollen. Aber du darfst aufhören zu lügen.


Deine Challenge diese Woche: Einmal am Tag, wenn jemand fragt "Wie geht's?", antworte ehrlich. Beobachte, was passiert.

Menschen entspannen sich in Gegenwart von Ehrlichkeit. Deine emotionale Wahrhaftigkeit gibt anderen die Erlaubnis, ebenfalls echt zu sein.


2. Der Bypassing-Satz: "Was ich wirklich brauche, ist..."

Wenn dich jemand mit toxischer Positivität bombardiert ("Sei doch nicht so negativ!"), nutze Bypassing:

"Danke. Was ich gerade wirklich brauche, ist jemand, der einfach zuhört."

Weitere Bypassing-Sätze:

  • "Positivität ist schön. Gerade brauche ich aber Raum für meine Trauer."

  • "Ich schätze deine Aufmunterung. Was ich suche, ist jemand, der das Schwere mit mir aushält."

Du erschaffst keine Konfrontation, sondern baust eine Brücke. Emotion trifft Emotion – ehrlich statt aufgesetzt.


Die Kraft der emotionalen Ehrlichkeit

Monate nach jenem TV-Auftritt sprach ich das erste Mal öffentlich über den Tod meines Vaters – nicht aufgesetzt-stark, sondern ehrlich-verletzlich.

Menschen kamen auf mich zu. "Danke, dass du das geteilt hast. Ich habe auch jemanden verloren und dachte, ich müsste funktionieren."

Echte Gefühle sind ansteckend. Sie geben anderen die Erlaubnis, ebenfalls echt zu sein.

Die höchste Form von emotionaler Ehrlichkeit ist nicht der dramatische Seelen-Striptease. Sondern die ehrliche Präsenz. Das einfache "Ich bin hier. Mit allem, was gerade ist. Und das ist okay."

Das ist echte innere Stärke. Von dort aus kann echte Freude entstehen – nicht aufgesetzte Fröhlichkeit, sondern die tiefe Freude, die nur aus Ganzheit kommt.


Von der Maske zur Präsenz

Du musst nicht "ausgezeichnet" sein, um wertvoll zu sein.

Du musst nicht positiv sein, um geliebt zu werden.

Du musst nicht stark sein, um respektiert zu werden.

Du musst nur echt sein. Präsent mit dem, was ist.

Das ist emotionale Ehrlichkeit entwickeln – und es ist ein Weg zu einem erfüllten Leben.

"Fake it till you make it" verspricht Stärke und liefert Selbstverrat. Es verspricht Erfolg und liefert Überforderung und Erschöpfung. Es verspricht Verbindung und liefert Isolation.

Die bessere Alternative? "Feel it till you heal it."

Fühle deine Trauer, bis sie sich wandelt. Fühle deine Wut, bis sie sich löst. Fühle deine Angst, bis sie sich beruhigt.

Das ist der Weg. Nicht drumherum. Nicht drüber. Sondern durch.

Deine echten Gefühle sind keine Fehler. Sie sind Wegweiser. Vertraue ihnen.


P.S.: "Aber wenn ich immer ehrlich bin, mache ich dann nicht alle runter?" Nein. Ehrlichkeit ohne Rücksichtnahme ist Rücksichtslosigkeit. Aber Höflichkeit ohne Ehrlichkeit ist Heuchelei. Der Mittelweg heißt: mitfühlende Wahrhaftigkeit.Du kannst echt sein UND liebevoll. Das ist emotionale Intelligenz.

P.P.S.: Denk daran: Der Sinn des Lebens ist das Lächeln auf dem Gesicht des anderen. Aber echte Lächeln entstehen nur aus echter Begegnung. Und echte Begegnung braucht echte Gefühle – alle, nicht nur die schönen.


Wo fällt es dir am schwersten, emotional ehrlich zu sein? Welche "Fake it till you make it"-Muster erkennst du bei dir? Teile deine Erfahrungen – auch das ist ein Akt emotionaler Ehrlichkeit.



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3 Kommentare

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Danke für diesen inspirierenden Beitrag! Ich merke immer wieder, wie viel ehrliche Begegnung entsteht, wenn man auf die Frage „Wie geht’s dir?“ wirklich aufrichtig antwortet. Diese kleine Dosis echter Ehrlichkeit wirkt oft wie ein Icebreaker – plötzlich öffnen sich beide Seiten. Lustigerweise entstehen die tiefsten Gespräche meist dann, wenn’s nicht „hervorragend“ läuft. Als gäbe es kaum Geschichten über gute Stimmung – je nach Umfeld natürlich. 😉

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Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Sehr wertvoll. Dankeschön. Bringt mich definitiv ein Stück weiter 🤗

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Wibke
12. Okt.

Tja das mit der Ehrlichkeit-erst mal darf ich wahrnehmen was ich fühle und dann auch noch achtsam auf mein Gegenüber eingehen-klappt leider nicht immer 😉😆

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